Herr van Berkel, Sie haben Ihr Büro 1998 in „UNStudio“ umbenannt. Der Name steht einerseits als Abkürzung für United Networks, impliziert aber andererseits eine Negation von Studio. Was ist so „UN“-typisch an Ihrem Büro?
Ben van Berkel: Dass sich unsere Arbeit nicht länger ausschließlich im Büro abspielt. Wir verfügen über ein weltumspannendes Netzwerk von befreundeten Architekten, Modeschöpfern, Fotografen und Künstlern. Oder denken Sie an die verschiedenen Hochschulen, an denen ich unterrichte: Harvard, die Städelschule in Frankfurt … Die kommunikativen Abläufe sind nicht länger auf das Büro beschränkt, der eigentliche Mehrwert des Netzwerks liegt außerhalb. Das wollten wir mit dem Namen UNStudio ausdrücken.
Viele Architekturbüros vor allem in Nordeuropa haben sich von traditionellen hierarchischen Strukturen und Denkweisen frei gemacht. Gilt das auch für UNStudio?
Ben van Berkel: Absolut. Wir haben uns vor allem von der Auffassung gelöst, dass ein Architekt sich nur auf die Gestaltung von Gebäuden zu spezialisieren hat. Wir möchten kulturelle Innovationen, in gewisser Weise kulturelle Errungenschaften hervorbringen. Das geht weit über das allgemeine Verständnis von Architektur hinaus.
Welche Rolle spielt dabei der Netzwerkgedanke?
Ben van Berkel: Netzwerke sind mittlerweile in aller Munde, doch als wir die Netzwerk-idee 1999 umsetzten, waren wir Vorreiter. Kaum jemand beschäftigte sich damals mit Netzwerken, vielleicht mit Ausnahme des französischen Soziologen Bruno Latour. Im Architekturbereich war das eine absolute Neuerung. Man muss sich klarmachen, wer die Akteure innerhalb eines Netzwerks sind, zwischen welchen Personen die wichtigen Informationen ausgetauscht werden. Das ist beim Design nicht anders. Wir haben begriffen, dass die Ideen, die beispielsweise in die Gestaltung eines Möbelstücks einfließen, Auslöser für eine Reihe weiterer Ideen für ganz andere Projekte sein können. Nehmen wir einmal den Sessel, den ich für Walter Knorr, den Vizepräsidenten der Universität von Illinois, designt habe. Er basiert auf dem Thema Reflexion und wie die Vorstellungen von Reflexion und Zurücklehnen miteinander in Verbindung treten, wenn man auf diesem Sessel sitzt. Diese gedankliche Verbindung fließt dann unter Umständen auch in andere Projekte des Büros ein.
Der Trend geht in der Architektur also zum Netzwerk?
Ben van Berkel: Das kann ich nicht beurteilen, das Netzwerk entspricht auf jeden Fall meinen Vorstellungen. Es gibt viele verschiedene Arten von Architekten, und ich gehöre zu denjenigen, die sich von diesem Netzwerkgedanken inspirieren lassen, um kulturelle Errungenschaften zu entwerfen. Manchmal sehe ich Architekten ein wenig wie Modeschöpfer – wir entwerfen die Kleidung für die Zukunft der Welt.
Nun, die Kreationen der großen Modeschöpfer auf den internationalen Fashion Shows sind zwar schön anzusehen, aber nur für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung erschwinglich …
Ben van Berkel: Unsere Architektur ist nicht unerschwinglich, auch wenn wir ab und zu tatsächlich für die „Fashion Shows“ arbeiten. Manche Entwürfe erweisen sich als schwer realisierbar, doch wenn man sein Handwerk versteht, kann man mit den Ausführungstechniken spielen. Letztlich ist das genau wie bei der Haute Couture: Die Kleider auf den Laufstegen sind in erster Linie als Prototypen zu verstehen. Erst später werden die Design-ideen in vereinfachter Form für den täglichen Gebrauch nutzbar gemacht.
Dank Ihrer internationalen Erfahrungen hätten Sie Ihr Büro an jedem Ort der Welt eröffnen können. Warum sind Sie nach Amsterdam gegangen? Bieten die Niederlande besondere Vorteile für die Arbeit als Architekt?
Ben van Berkel: Nun, zunächst einmal lebt es sich in Amsterdam sehr gut. Die Verkehrsanbindung ist durch den Flughafen hervorragend. Ich bin in der Nähe meiner Freunde, der Designer Victor & Rolf, Marcel Wanders … Es gibt in der Stadt viele Kreative, die international tätig sind. Das ist das Schöne an den Niederlanden: Wir besitzen viel Kultur auf kleinstem Raum, genießen eine hohe Lebensqualität und sind dabei sehr kosmopolitisch. Nicht zuletzt können wir hier auch auf eine großartige Architekturtradition zurückblicken. Davon können wir noch eine Menge lernen. Ich wohne gerne hier, es ist ein schönes Land.
Niederländische Architekten haben für die Entstehung der modernen Architektur im 20. Jahrhundert eine bedeutende Rolle gespielt. Sehen Sie sich in dieser Tradition?
Ben van Berkel: Schon, doch eher in einer Art Pionierrolle. Natürlich bin ich hier auf-gewachsen und zur Schule gegangen, meine Architekturausbildung habe ich aber vor allem in London bei der Architectural Asso-
ciation absolviert. Das war eine schöne Zeit und meine Arbeit wurde durch die vielen internationalen Einflüsse nachhaltig geprägt. Auch die Studien befreundeter Kollegen in den USA haben mich sehr beeinflusst, so dass ich mich heute irgendwo zwischen dem europäischen und angelsächsischen Raum situiere.
Sie haben in den Büros von Zaha Hadid und Santiago Calatrava gearbeitet. Welche Einflüsse hatte dies auf Ihre Arbeit? War es schwierig, sich von diesen „Göttern“ der internationalen Architekturszene zu emanzipieren?
Ben van Berkel: Damals waren sie ja noch keine Götter. Ich habe 1987 für Santiago Calatrava gearbeitet. Damals wurde gerade der Bahnhof Stadelhofen in Zürich fertig gestellt. Es war eine großartige Erfahrung, bei diesem Projekt dabei zu sein, auch wenn ich nur an ein paar Brücken mitarbeiten durfte. Aber ich liebte das Büro, wir waren gerade einmal zwölf Leute und in einer Art Selbstfindungsphase. Die Bekanntheit kam erst später, das war auch bei Zaha so. Als ich für sie arbeitete, war sie meine Lehrerin an der Architectural Association. Sie arbeitete damals an dem Entwurf des Freizeit- und Erholungsparks „The Peak Leisure Club“, eines ihrer ersten Projekte. Ich habe von beiden eine Menge gelernt, auch wenn ich hinterher meinen ganz eigenen Arbeitsstil, meine eigenen Ideen entwickelt habe. Mein Credo war immer, so viel zu bauen wie möglich, denn Architektur zu entwerfen ist wie ein Instrument zu spielen: Entweder man praktiziert es vier bis fünf Stunden täglich oder man bringt es nie zum Erfolg. Ich versuche immer, mein Bestes zu geben – das ist alles, worauf es für mich ankommt.
Nun gehören Sie selbst zu den Superstars der internationalen Architekturszene. Wie ergeht es den jungen Architekten, die bei UNStudio für Sie arbeiten?
Ben van Berkel: Ich glaube, die jungen Architekten lernen bei uns eine Menge. Ich versuche sie darauf vorzubereiten, wie schwierig es heutzutage ist, sich als selbständiger Architekt über Wasser zu halten. Das liegt nicht nur an der Wirtschaftslage, sondern auch an dem enormen Konkurrenzdruck, der überall herrscht und ständig weiter zunimmt. Gleichzeitig ermutige ich sie, sich eine passende Nische zu suchen. Es gibt viele Marktnischen, die meisten Architekten sind nur nicht besonders innovativ. Die Zukunft eröffnet Architekten eine unglaubliche Vielfalt von Möglichkeiten, sie müssen sie nur erkennen und ergreifen.
Sie arbeiten ausgesprochen experimentell und viele Ihrer Entwürfe wirken sehr komplex. Wie schaffen es die Bauingenieure, mit Ihrer Kreativität Schritt zu halten?
Ben van Berkel: Meine Entwürfe sind gar nicht so schwer zu realisieren, wie viele glauben. Das Geheimnis liegt darin, mit den richtigen Leuten zu arbeiten, die sich mit den Geometrien auskennen, die wir zugrunde legen. Zugegeben, die Entwürfe wirken auf den ersten Blick äußerst komplex, doch nehmen wir einmal das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart: Wir haben dort mit sehr vielen Wiederholungen größerer Details und Konstruktionselemente gearbeitet, um das Projekt möglichst effizient zu gestalten. Es mag also sehr komplex aussehen, ist aber in Wirklichkeit sehr rationell.